Stärke, Brüche und etwas Bitterkeit
Im Alter von 84 Jahren ist der ehemalige Direktor der Noble Kamerawerke, John H. Noble, gestorben
Text von Heidrun Hannusch
Dresden (DNN) "In erster Linie war es Gottvertrauen", sagte John H. Noble auf einer Pressekonferenz am 11. Januar 1955 auf die Frage, was ihn gestärkt habe, diese Zeit durchzuhalten. Gemeint waren die Jahre der Zwangsarbeit im berüchtigten sibirischen Gulag Workuta. "Werden sie sich nach den neuneinhalb Jahren Haft in der freien Welt wieder zurecht finden", fragte ihn der Reporter außerdem. Sicher werde er das, meinte Noble. Aber los lassen sollte ihn diese Zeit sein ganzes Leben lang nicht. Am 10. November ist John H. Noble im Alter von 84 Jahren nach einem Herzinfarkt gestorben. Es war ein außergewöhnliches Leben, geprägt von Brüchen, Stärke, aber auch einer Spur Bitterkeit am Ende.
1938 siedelte die Familie Noble von Detroit nach Dresden um. Vater Charles Alfred Noble wanderte 1921 von Deutschland nach Amerika aus. In Detroit baute er eines der größten Fotolabors Amerikas auf. 1937 las er in einer Detroiter Zeitung, dass ein gewisser Benno Thorsch aus Dresden seine Kamerafabrik zum Verkauf anbot. Benno Thorsch und Paul Guthe hatten 1919 ihre "Dresdner Kamerawerkstätten" gegründet und waren zu Beginn der 30-iger Jahre mit hochwertigen Spiegelreflexkameras erfolgreich. Die Firmeneigentümer, beide jüdischer Abstammung, mussten aus Deutschland fliehen, der Verkauf der Kamerawerke an den Amerikaner rette ihnen die Existenz. Und Noble sorgte zur Frühjahrsmesse 1939 in Leipzig mit der "Praktiflex" für Aufsehen. Wie andere Ausländer waren die Amerikaner während der NS-Zeit Repressalien ausgesetzt. Und die hörten mit Kriegsende nicht auf.
Beim Einmarsch der Sowjets hisste Sohn John im Mai 1945 auf dem Turm der Villa "San Remo" auf dem Weißen Hirsch die US-Flagge. Möglich, dass das als Provokation verstanden wurde. Am 5. Juli wurden Vater und Sohn von den Russen verhaftet. Kein Grund sei ihm genannt worden, als er am 8. August 1950 zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde, sagte John Noble. Er wird in den sibirischen Gulag Workuta gebracht. Und vielleicht hätte er ihn nicht überlebt, wäre es ihm nicht gelungen, eine Nachricht aus dem Lager nach Deutschland zu schmuggeln. Der amerikanische Präsident Eisenhower setzte sich persönlich für die Freilassung seines Landsmannes ein.
Unmittelbar nach dem Freikommen John Nobles fand am 11. Januar 1955 jene Pressekonferenz statt, die in der Weltöffentlichkeit großes Aufsehen erregte. Worauf in der DDR auf perfide Weise reagiert wird. Es war der damalige sächsische Ministerpräsident Max Seydewitz, der die Behauptung aufstellte, Charles Noble habe vom Balkon seiner Villa "San Remo" aus den Luftangriff von 1945 auf Dresden gesteuert. In seinem Buch "Die unbesiegbare Stadt" schreibt Seydewitz: "Gewiss hat Mister Noble dann am Fenster der Veranda seiner Villa San Remo gestanden und das grauenhafte Schauspiel der auflodernden Flammen und den Zusammensturz der kostbaren Kulturdenkmäler genossen ..."
Die Propaganda-Legende hält sich lange. Mancher in Dresden glaubt noch heute daran. Die Nobles wird es geschmerzt haben. Aber John macht weiter damit, die Wahrheit über den Gulag zu berichten. In den fünfziger Jahren erscheint sein Buch "Ich war Sklave in Russland", danach die Tagebuch-Aufzeichnungen "Verbannt und verleugnet".
Nach seiner Freilassung lebte John H. Noble wieder in den USA, arbeitete dort als Politikberater und Wissenschaftler. 1990 kehrte er nach Dresden zurück. Die Kamerawerke des Vaters waren 1945 enteignet worden. Noble stellte einen Restitutionsantrag und übernahm 1991 das Werk in Niedersedlitz. Bereits 1994 kam die erste Noblex-Kamera auf den Markt. Aber eine Erfolgsgeschichte wurde Nobles Neuanfang nicht. Die Treuhand verkaufte die Warenzeichen der Praktika an ein westdeutsches Unternehmen, für den amerikanischen Unternehmer hätten sie hilfreich sein können. 1998 musste er den in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Betrieb aufgeben. Auch die an ein Märchenschloss erinnernde Familienvilla "San Remo" wurde verkauft. Noble klagte über Behörden, Banken und Angestellte, die ihn belogen und betrogen hätten. Er kämpfte lange dafür, was er für sein Recht hielt. Aufgeben, das passte einfach nicht zu einem Mann wie ihm.
Richtigstellung von Katharina Förster-Noble
Bitterkeit war ein ihm völlig fremder Wesenzug, Enttäuschung wäre richtig. Enttäuschung nach dem Betrug durch die Treuhand, die Warenzeichen an Dritte zu "verkaufen". Er empfand keine Bitterkeit am Ende, im Gegenteil, wir hatten gerade geheiratet und waren zutiefst glücklich.
Sein Vater hieß Charles Adolph und nicht Alfred. Guthe war kein Jude hatte aber auch mit den Kamerawerken zu dieser Zeit nichts mehr zu tun. Benno Thorsch war Halbjude und Schweizer Staatsbürger. Thorsch war nie verfolgt und musste auch nicht fliehen. Sein Immobilienbesitz in Dresden wurde während der NS-Zeit verwaltet und blieb in seinem Eigentum. Guthe & Thorsch waren Anfang der 30-iger Jahre mit einer Etui-Kamera (Klappkamera) erfolgreich. Die Kameraproduktion 1937 war veraltet und nicht mehr marktfähig.
Nach Übernahme der Kamerawerke durch C.A. Noble behielt man vorerst den Firmennamen Guthe & Thorsch bei, die Firma hieß "vorm. Guthe & Thorsch", Inhaber war C.A. Noble.
Die Spiegelreflexkamera "Praktiflex" wurde also noch unter dem Namen Kamerawerke "vorm. Guthe & Thorsch" aber von den Nobles 1938 entwickelt und hergestellt und sorgte dann eben auf der Frühjahrsmesse 1939 für Aufsehen. Massiven Repressalien waren die Nobles nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ausgesetzt, die natürlich mit Ende des Zweiten Weltkrieges aufhörten.
Nach dem Einmarsch der Sowjets, im Glauben unter Alliierten und Freunden zu sein, hissten die beiden Noblesöhne die amerikanische Fahne, um sich als Anlaufpunkt für versprengte Landsleute zu zeigen, was auch gelang. Den Russen ein Dorn im Auge, kam ihnen das Verlangen der sächsischen Landesregierung nach Enteignung der Kamerawerke Noble entgegen, C.A. Noble und John wurden verhaftet. Die Kamerawerke Noble waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen funktionierenden Fotokamerahersteller der Welt. Die Kamerawerke C.A. Noble wurden auf die Liste der zu enteignenden Betriebe gestellt, das Einlegen eines Widerspruchs war aufgrund der Verhaftung nicht möglich.
"Ich war Sklave in Russland" in Form von Tagebuchaufzeichnungen erschien 1957. Sein 2004 erschienenes Buch "Verbannt und verleugnet" sind keine Tagebuchaufzeichnung sondern ein packend erzählter Erlebnisbericht seiner Zeit in russischer Gefangenschaft und den Zuständen im Gulag.
John klagte nie. Nach zehn Jahren Hölle konnte ihn nichts mehr erschüttern. Ganz im Gegenteil, mir gegenüber brachte er sogar noch Dankbarkeit für diese Zeit zum Ausdruck, da sie ihn zum tiefen Glauben geführt hat.
Persönliche Anmerkung
John Noble hat sein ganzes Leben in den Dienst der Aufklärung gestellt. Er hat nicht verdient, dass selbst nach seinem Tod und nach Erscheinen seines Buches immer wieder falsche Darstellungen in die Öffentlichkeit getragen werden und nie eine seriöse Recherche der Presse stattfindet. Größte Sorge macht, dass so Geschichtsverfälschungen generell, insbesondere in der Literatur, nie ein Ende finden werden. Das tut sehr weh.